Aktionsbündnis der Betreuungsvereine

Pressemitteilung und Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ über die Anpassung der Betreuervergütung im VBVG ab 2026 sowie Aufruf zum Protest von Kommunen, Landkreisen, Gerichten sowie Sozial- und Gesundheitswesen

Der vom BMJ im September 2024 vorgelegte Referentenentwurf zur Anpassung des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG) enttäuscht die Erwartungen der Mitgliedervereine massiv. Nach den Vergütungsprognosen der Mitgliedervereine kommt die im Referentenentwurf versprochene Vergütungssteigerung von über 12 % nicht bei den Vereinen an. Teilweise haben Mitgliedervereine sogar Defizite zu befürchten. Mit den geplanten Vergütungsanpassungen werden die unzureichenden Anpassungen der letzten Jahre sowie der absehbare Kostendruck der kommenden Jahre nicht ausgeglichen. Der Berufsverband der Berufsbetreuer (Bdb e.V.) hatte deshalb eine Vergütungserhöhung von 27 % für dringend erforderlich gehalten und gefordert.

Schon der Inflationszuschlag (befristet von 2024 bis 2025) kompensiert die tatsächlichen Kosten- und Tarifsteigerungen der vergangenen Jahre nicht. Auch die nunmehr vorgesehenen Aufschläge ab 2026 führen nicht zu planungssicheren Vergütungseinnahmen der Vereine, aus denen diese ihre tariflichen Personal- und Sachkosten bestreiten müssen. Das vorgesehene neue Vergütungssystem bringt leider nur eine Vereinfachung für die Rechtspfleger*innen der Gerichte. Die Vereine werden mit der neuen Vergütungsstruktur dahingehend bestraft, dass sie überwiegend aufwändige Betreuungsfälle führen – insbesondere langjährige Betreuungsfälle mit mittellosen Klienten, die in einer eigenen Wohnung leben. Nur die Option einer anzustrebenden optimalen Mischkalkulation bedeutet für Betreuungsvereine keine Planungssicherheit.

Die abermals fehlende Dynamisierung der Betreuervergütung hinsichtlich Inflation und Tarifsteigerungen macht die Einnahmen der Betreuungsvereine zusätzlich planungsunsicher. Ohne Dynamisierung besteht die Gefahr, dass die Vereine den zukünftigen Kostendruck infolge anstehender Tariferhöhungen (2025, 2027 usw.) wieder mit zusätzlichen Fallzahlerhöhungen kompensieren müssen, was zu einer weiteren Qualitätsminderung in der Betreuungsarbeit führen wird.

Im Referentenentwurf werden abermals Kosten für Sprach- und Gebärdendolmetscher, die im Rahmen der rechtlichen Betreuung notwendig werden können, nicht berücksichtigt. Betreuungsvereine müssen somit weiterhin diese Kosten aus den prekären Vergütungssätzen bestreiten. Von der Inanspruchnahme des Thüringer Landesprogramms Dolmetschen vom Landesverwaltungsamt, das von anderen sozialen Institutionen und Diensten kostenfrei genutzt werden kann, sind die Betreuungsvereine und Berufsbetreuer*innen bedauerlicherweise ausgeschlossen.

Die neuen vorgesehenen Vergütungssätze zeigen abermals eine politische Geringschätzung des Gesetzgebers für rechtliche Betreuer*innen und die fehlende Anerkennung der stetig zunehmenden betreuungsrechtlichen Mehrarbeit. Dies stellt eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für hauptamtliche Vereinsbetreuer*innen dar. Betreuungsvereine werden für ihre Mitarbeitenden zunehmend unattraktiv, insbesondere aufgrund steigender Haftungsrisiken durch mangelnde Entlastung.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass rechtlich betreute Menschen, die über 10.000 € Vermögen besitzen, weiterhin mehr für ihre Betreuung zahlen müssen, als die Staatskasse für mittellose Betreuungsfälle den Vereinen/Betreuern zahlt. Hier entlasten sich die Länder zulasten vermögender Klienten. Dies steht auch im Gegensatz zum tatsächlichen Arbeitsaufwand, denn insbesondere bei mittellosen betreuten Menschen ist der Arbeitsaufwand für zahlreiche wiederkehrende sozialrechtliche Antragstellungen sowie für eine Schuldenbereinigung bei Überschuldung weitaus höher.

Weiterhin entsteht der Eindruck, dass die Länder nicht nur die Kosten der rechtlichen Betreuung zulasten vermögender Klienten sparen wollen, sondern auch bewusst zulasten der Kommunen. Infolge der geplanten unzureichenden Vergütungsanpassungen warnen wir hiermit eindringlich vor den hier aufgeführten Folgen:

  • Die Betreuungsvereine müssten zukünftig nur noch Betreuungen mit überwiegend vermögenden Klienten oder Klienten in stationären Einrichtungen übernehmen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Dies ist jedoch nicht realistisch, da die Betreuungsvereine in der Regel erster Ansprechpartner seitens der Behörden und Gerichte für Betreuungsübernahmen sind und sich de facto die Betreuungsfälle aus wirtschaftlichen Zwang nur bedingt aussuchen können.
  • Die Betreuung von mittellosen Klienten oder von Klienten, die in einer eigenen Wohnung leben sowie nicht-deutschsprachigen Klienten (mit Migrationshintergrund) müssten zukünftig überwiegend die Betreuungsbehörden bzw. deren Mitarbeiter*innen übernehmen. Die Betreuungsbehörden haben jedoch generell kein Anspruch auf eine Betreuervergütung und somit kommen immense Sach- und Personalkosten auf die Kommunen zu.
  • Der Beruf der rechtlichen Betreuer*innen bzw. Vereinsbetreuer*innen wird abermals unattraktiver und der bereits einsetzende Betreuermangel wird sich infolge von Renteneintritten (ca. 20 % der Betreuer*innen in den nächsten 5 bis 10 Jahren) verschärfen bzw. wird eine unzureichende Vergütungsanpassung die Renteneintritte beschleunigen. Den daraus resultierenden Betreuermangel werden abermals die Betreuungsbehörden kompensieren müssen.
  • Der Betreuermangel bzw. Nachwuchsmangel wird sich weiterhin verschärfen. Für freiberufliche Neueinsteiger bestehen mit der im Referentenentwurf angekündigten „auskömmlichen Vergütung“ keine finanziellen Anreize, diese anspruchsvolle Arbeit mit hoher Verantwortung zu leisten. Neueinstellungen können die Mitgliedervereine nicht finanzieren.
  • Betreuungsvereine laufen weiterhin Gefahr, dass infolge massiver Arbeitsbelastung Mitarbeitende abhandenkommen.
  • Für die Vereine steigt die Gefahr in die Zahlungsunfähigkeit zu geraten und nur mit kommunalen Rettungsschirmen für Betreuungsvereine (Zusatzförderprogrammen) ihre Betreuungsarbeit fortführen zu können.
  • Bei zunehmender Betreuung durch Mitarbeiter*innen der Betreuungsbehörden ist zu befürchten, dass die Rechte und Ansprüche der betreuten Menschen hinsichtlich sozialer Leistungen und sozialer Teilhabe zunehmend nicht verwirklicht bzw. durchgesetzt werden. Da die Mitarbeiter*innen der Betreuungsbehörden Angestellte der Kommune bzw. des Landkreises sind, die letztlich auch für die Zahlung und Gewährung von beantragten Hilfen und Leistungen zuständig sind, darf bezweifelt werden, dass Behördenmitarbeiter*innen Sozialklagen für ihre betreuten Klienten gegen ihren eigenen Arbeitgeber (Dienstherr*in) führen werden.

Wir richten hiermit einen dringenden Appell an die Landkreise, Städte und Gerichte sowie an das gesamte Sozial- und Gesundheitswesen gegen die unzureichende Anpassung der Betreuervergütung zu protestieren.

Sofern die beabsichtigte Vergütungsanpassung gemäß aktuellem Referentenentwurf tatsächlich umgesetzt wird, müssen die Betreuungsbehörden dringend massiv aufgestockt werden, um die schwierigen, aufwändigen und langjährigen Betreuungen zu führen. Andernfalls steuern wir in Thüringen auf ein handlungsunfähiges staatliches Rechtsfürsorgesystem zu, das dann zu kollabieren droht. Die personelle Aufstockung der Betreuungsbehörden wird den Kommunen hinsichtlich der Personalkosten erhebliche Mehrkosten verursachen, die zeitnah in den kommunalen Verwaltungen eingeplant werden müssen.

Weiterhin müssen die Kommunen ihren Betreuungsvereinen perspektivisch Hilfen in Aussicht stellen, wenn diese in finanzielle Not geraten. Ein Verlust an Vereinsbetreuer*innen fällt umgehend den Mitarbeiter*innen der Betreuungsbehörden zur Last. Ebenso werden Schließungen von Betreuungsvereinen die Behörden unmittelbar belasten, da sie dann auch die Vorsorgeberatung der Bürger*innen sowie die Begleitungs- und Schulungsaufgaben für ehrenamtliche Betreuer*innen übernehmen müssen, da diese Aufgaben die Vereine bisher leisten.

Nun liegt es auch an den Kommunen und Landkreisen sowie an den Gerichten, politischen Druck auf die Thüringer Landesvertretung sowie der Bundesregierung auszuüben, damit die vorgesehene Vergütungsreform dringend überdacht und nachgebessert wird.

Unsere Forderung hinsichtlich der künftigen Betreuervergütung an die Ländervertretung und Bund sind:

  • Dynamisierung (automatischer Anpassung) an Tariferhöhungen und Inflation zur Sicherstellung von Personalkosten basierend auf TVöD SuE, Entgeltgruppe 12, Stufe 4
  • Tarifkonforme Anhebung der Vergütungspauschalen um min. 27 Prozent
  • Anerkennung der tatsächlichen Sachkostenpauschalen gem. KGSt
  • Anerkennung des tatsächlichen zeitlichen Betreuungsaufwandes von ca. 5 Std. im Monat
  • Leistungsgerechtes Vergütungssystems
  • Verlässliche kontinuierliche Vergütungszahlungen aus den Justizkassen
  • Kostenübernahme von Sprach- und Gebärdendolmetscher sowie Ermöglichung der Inanspruchnahme des Landesprogramm Dolmetschen

Verlinkungen:

Ref.-Entwurf BMJ 2024/9

https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2024_Neuregelung_Betreuerverguetung.html?nn=13870

ausführliche Stellungnahme bdb e.V.

https://www.berufsbetreuung.de/der-bdb/stellungnahmen/referentenentwurf-des-bundesministeriums-der-justiz-entwurf-eines-gesetzes-zur-neuregelung-der-vormuender-und-betreuerverguetung-und-zur-entlastung-von-betreuungsgerichten-und-betreuern


Die LAG Betreuungsvereine Thüringen hat sich am Aktionsbündnis der Betreuungsvereine beteiligt

Thüringer Vereinsbetreuer*innen sowie stellvertretend die Landesarbeitsgemeinschaft haben sich dem bundesweiten Aktionsbündnis der Betreuungsvereine angeschlossen.

Anlässlich der Justizministerkonferenz in Hannover am 05.06.2024 haben die Betreuungsvereine vor Ort gegen die prekäre Betreuer-Vergütungssituation in der rechtlichen Betreuung protestiert.

NDR-Pressebericht
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Betreuungsvereine-in-Niedersachsen-fordern-Zukunftssicherheit,betreuungsvereine104.html

Die nicht bedarfsgedeckte Finanzierung führt dazu, dass die Betreuungsvereine Ihre tariflichen Personalkosten sowie Sachkosten nicht mehr finanzieren können.

Die derzeitigen schlechten Arbeitsbedingungen werden zu einem weiteren Mangel an beruflichen Betreuer*innen führen.
Wenn der Betreuermangel sich fortsetzt und die Betreuungsvereine aufgrund von Finanznot dauerhaft schließen müssen, werden die Betreuungsbehörden der Kommunen und Landkreise als „Ausfallbürge“ von den Betreuungsgerichten für die Betreuungsfälle eingesetzt.

In Thüringen werden (Stand 2021) rund 40.000 Menschen rechtlich betreut. In 22.000 Betreuungsfällen waren berufliche Betreuer*innen bestellt und davon in ca. 3.200 Fällen hauptamtliche Vereinsbetreuer*innen.

In rund 12.000 Betreuungsfällen waren ehrenamtliche Betreuer*innen (überwiegend Familienangehörige) von den Gerichten bestellt. Wenn die Betreuungsvereine schließen, dann müssen sich die Betreuungsbehörden auch zusätzlich um die Schulung und Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuer*innen kümmern.

Detailliertere Information sowie Hintergründe entnehmen Sie bitte der hier verlinkten Stellungnahme/Pressemitteilung, dem Positionspapier und Infoblatt des Bdb e.V ( https://www.berufsbetreuung.de/presse/bdb-fordert-reform-des-verguetungssystems/ ) sowie aus der Internetseite vom Aktionsbündnis: https://www.bi-bv.net/

Aktuelle gerichtliche Entscheidung zu „Behördenbetreuung“